Laternen im Sumpf

Über Sumpfhaubenpilze, Mückenstiche und Gummistiefel
von Thomas Lehr

Beim Durchblättern von Pilzbüchern bleibe ich immer wieder bei denselben Arten hängen, die ich gern selbst mal finden würde. Da sind viele Röhrlinge dabei, aber auch so mancher bunte Schleierling lässt mich jedes Mal wieder darüber nachdenken, ob man nicht auch bei uns ein geeignetes Biotop finden könnte, in dem eine Suche nach diesen, nur aus der Literatur bekannten Schönheiten lohnen würde. Zu dieser Gruppe von Pilzen gehört seit einiger Zeit auch der Sumpfhaubenpilz Mitrula paludosa. Die Tatsache, dass der kleine Schlauchpilz mit dem leuchtend gelben Köpfchen in vielen populären Pilzbüchern abgebildet ist, steigerte mein Interesse nur noch weiter, ihn einmal selbst zu finden. Wenn so viele Verfasser von Bilderbüchern ihn schon vor die Linse bekommen hatten, warum nicht auch ich? Hinzu kamen Fundberichte in Internetforen und schließlich im Frühjahr 2005 die Mitteilung von Hermine Lotz, dass sie die Art im Saarland bei einer Tagung gefunden habe. Immer öfter schaute ich nun in kleine Bachläufe, morastige Pfützen und sumpfige Wegränder. Von Mitrula paludosa aber einstweilen keine Spur.

Als es Anfang Juni 2005 dann langsam trocken und heiß wurde, vergaß ich die kleinen Gelbhüte schnell; vielmehr sollte mir die beginnende Röhrlingssaison jetzt einige lohnende Fotoobjekte liefern. So machte ich mich auf den Weg zur Billtalhöhe bei Königstein, die vielen Pilzfreunden von diversen Wanderungen gut berkannt sein dürfte. In den Quellsümpfen unterhalb der B 8 kann man nämlich auch dann noch einiges finden, wenn ansonsten raschelnde Dürre scheinbar jede Hoffnung auf Pilzfunde verbietet. Ich hatte eigentlich auf ein paar Birkenpilze für das Abendessen gehofft und die Kamera eher zufällig mit in den Rucksack gepackt. Umso größer war meine Überraschung, als ich am Rand eines schmalen Baches plötzlich Dutzende von kleinen, leuchtend gelben Pilzchen fand, die mich schnell alles andere vergessen ließen. Ich kniete nieder, blickte mich um und freute mich einfach: Ich war von vielen Grüppchen des Sumpfhaubenpilzes umgeben, die aus dem schwarzen Schlamm des Bachufers tatsächlich wie kleine Laternen leuchteten. Nach der ersten Euphorie machte sich bei meinen Fotoversuchen aber bald Ernüchterung breit. Als großes Problem erwies sich der Wuchsort der Sumpfhauben. Zunächst war mir nicht ganz klar, wie ich ein wirkliches Standortfoto hinkriegen sollte, da die schönsten Exemplare mitten im Wasser standen. Ich hatte zwar halbwegs wasserdichte Wanderstiefel an den Füßen, aber es war schon ein etwas komisches Gefühl, im Fastspagat mit jeweils einem Bein im Uferschlamm stehend das Stativ mitten in den kleinen Bach zu stellen. Immerhin, es gelang mir, das Stativ so aufzustellen, dass es etwa 2 cm aus dem Wasser herausschaute. Dann musste ich meine Kamera von allem störenden Geschnür befreien, um mich erneut breitbeinig über den Bach zu knien und sie auf das Stativ zu schrauben. In dieser Position war es dann an sich nicht so ganz leicht, in aller Ruhe Brennweiten und Belichtungszeiten einzustellen. Immerhin wäre nur ein kleiner Wackler nötig gewesen und meine Kamera hätte ihre Unterwasertauglichkeit unter Beweis stellen müssen. Richtig prickelnd wurde das ganze aber erst, als ich bemerkte, dass sich auf meinen schweißüberströmten Armen Dutzende Stechmücken niedergelassen hatten. Als hätten ihnen die Laternen den Weg zu mir geleuchtet…

Am Abend danach zählte ich jedenfalls 16 Mückenstiche auf dem linken und 15 auf dem rechten Arm. Nun könnte man sagen, dass viele Fotografen einiges an Mühsal in Kauf nehmen, wenn sie gute Fotos schießen wollen. Natürlich hatte ich auch gehofft, dass als Ergebnis meiner Mitrula-Expedition nicht bloß schmerzende Knie und juckende Arme, sondern auch ein paar gute Fotos der Sumpflaternen herauskommen würden. Am Computer musste ich aber feststellen, dass ich fast nur verwackelte, schlecht belichtete und unscharfe Bilder zustande bekommen hatte.

Aber wenigstens wusste ich jetzt, worauf zu achten war. Bei meiner nächsten Tour packte ich also Gummistiefel ein, nahm einen schön dicken, langärmeligen Pullover mit und besprühte mich ausgiebig mit einem Antimückenspray. So bewaffnet gestaltete sich die Fotografiererei im Sumpf schon wesentlich angenehmer und auch die Fotos wurden nun deutlich besser. Außerdem stellte ich mit der nötigen Ruhe fest, dass nicht nur Sumpfhaubenpilze, sondern auch alle möglichen anderen Ascomyzeten sumpfige Bachufer mögen. Ich sah schöne rote Schildborstlinge, viele Wasserkreislinge und immer wieder auch Abgestutzte Tentakelkeulchen.

Die eindeutigen Stars dieses Biotops blieben für mich aber die Sumpfhaubenpilze. Und deswegen werde ich - trotz aller Widrigkeiten - auch im nächsten Sommer wieder in den Taunus fahren und die Schönheit der kleinen Schlauchpilze bewundern, dieser Laternen im Sumpf.

(Juni 2005)