Narrenschwämme

Der Klassiker der deutschen Psilo-Literatur von Dr. Jochen Gartz (Nachtschattenverlag, ca. 70 €)
gelesen und kommentiert von Dieter Gewalt

Schon das brillant formulierte Vorwort von Christian Rätsch ist es wert, sich den schmalen Band vorzunehmen. Es fängt mit der Frage “Wer war der erste Narr?” gleich gut an. Hinweise auf die Verwendung psychotroper Pilze sind so alt wie die frühen Zeugnisse menschlicher Kultur. Auf dem afrikanischen Kontinent, der Wiege der Menschheit, reichen sie zurück bis ca. 7000 v. Chr., als die Sahara noch ein blühender Garten war.

Ins Bewusstsein der Neuzeit ist das Phänomen erst 1957 gedrungen. Valentina und Gordon Wasson berichteten, dass in Mexiko heilige Pilze zu rituellen Zwecken gegessen werden. Die Azteken nannten sie Teonanacatl: “Fleisch der Götter”. Die Offenbarungen der Zauberpilze lockten bald Tausende von Jugendlichen aus der sog. Hippie-Kultur nach Mexiko. Ihr Ziel war vor allem die an der Pazifik-Küste gelegene Provinz Oaxaca. Slang-Namen wie Liberty Cap und Magic Mushroom machten die Runde. Diese auf “blauende Blätterpilze” spezialisierte Klientel entdeckte (oft noch vor den Fachmykologen) in Südamerika und der Karibik weitere psychotrope Arten. 1958 gelangen Isolierung, Strukturaufklärung und Synthese der Wirkstoffe Psilocybin und Psilocin, wenig später auch des Baeocystins. Dem Spitzkegeligen Kahlkopf Psilocybe semilanceata, einem bis dahin kaum beachteten, als “wertlos” eingestuften, kleinen Blätterpilz, der diese Substanzen enthält, wurde nun auch in Europa erhebliche Aufmerksamkeit zuteil. Zu seiner Verbreitung merkt J. Gartz an, dass Pilze häufig dort vorkommen, wo auch Mykologen häufig sind. Die von Psilo-Freaks erkundeten Standorte finden üblicherweise keinen Niederschlag in mykologischen Verbreitungskarten. Daraus folgt, dass die von G. J. Krieglsteiner publizierten Verbreitungsdaten von halluzinogen wirkenden Pilzen extrem lückenhaft sein müssen. Dagegen dauerte es nicht lange, bis administrative Gesetzgebung und Strafverfolgung auf den Plan traten. Die Hardliner der Drogenbekämpfung hätten den Pilzen am liebsten das Wachsen verboten. Unfähig, dieses Ansinnen zu realisieren, wurden sie in der Legislative aktiv. Zeitweise kreisten Helikopter über Almwiesen im Berner Oberland, um Sammler zu jagen. Tragisch endete ein 1981 aus dem US-Bundesstaat Washington berichteter Fall. Drei Jugendliche hatten eine giftige Galerina-Art mit Psilos verwechselt, wagten aber aus Furcht vor einer Verurteilung wegen Psilocybin-Gebrauchs nicht zum Arzt zu gehen. Ein 16jähriges Mädchen erlag der Vergiftung.

Sogenannte Narrenschwämme werden spätestens seit dem 16. Jahrhundert in Europa erwähnt und ihre Eigenschaften beschrieben: solche, die töricht machen oder zu Liebestränken verarbeitet werden. “Er hat verrückte Schwammerln gegessen” - so eine volkstümliche Überlieferung aus Österreich. Heute werden psilocybinhaltige Pilze in der Literatur relativ wertfrei als “halluzinogene Pilze” bezeichnet. Wie aber sehen diese Halluzinationen aus?

Aus einer Vielzahl von Erfahrungsberichten (von Psilo-Freaks, experimentierfreudigen Probanten, aber auch von Selbstversuchen von Wissenschaftlern und unfreiwilligen Intoxikationen) hat der Verfasser eine faszinierend zu lesende Auswahl zitiert, die zeigt, dass die individuellen Erlebnisse höchst verschieden sind: Verknüpfung von Gedanken und Visionen - abstrakte Ornamente - grandiose Farbenspiele - endlose Folgen von Bildern - von Hexen begleitete Flüge - beglückendes Wiedererleben der Kindheit - Verschmelzung mit der Umgebung oder anderen Lebewesen - Depersonalitätserscheinungen - Aufhebung des Schweregefühls - grimassenartige menschliche oder teuflische Gesichter - bedrohliche Angstzustände - etc. etc. Da kann man gut nachvollziehen, dass sich die Azteken einst in Kontakt zu Göttern wähnten.

Verständlich, dass auch in der Psychologie (ähnlich wie mit dem sehr viel potenteren LSD) mit Psilocybin experimentiert worden ist. Hier hat die kompromisslose Gesetzgebeung durchaus vielversprechenden Forschungsansätzen ein Ende gesetzt - bedauerlicherweise, wie Dr. Gartz argumentiert. Also: “Neue Narren braucht das Land.”

Das hier vorgestellte Buch wird allen Aspekten des Themas gerecht. Weder die Chemie der Wirkstoffe, noch die Systematik der relevanten Spezies kommt zu kurz. Unter den europäischen Arten kommt neben der eindeutig differenzierten Psilocybe semilanceata dem sog. “Ps. cyanescens-Komplex” große Bedeutung zu. Psilocybinhaltige Pilze sind jedoch auch in anderen Familien und Gattungen entdeckt worden. Unter den Düngerlingen z. B. Panaeolus subbalteatus, unter den Risspilzen Inocybe aeruginascens. Weitere finden sich unter den Samthäubchen (Conocybe), Dachpilzen (Pluteus) und Flämmlingen (Gymnopilus). Auch sporadisches Auftauchen tropischer Arten ist in Europa beobachtet worden. Vor allem die auf Dung und Kompost wachsenden Arten eignen sich zur gärtnerischen Kultivierung. Unter Psilo-Freaks sind Reinkulturen zum Beimpfen geeigneter Substrate begehrte Objekte und werden zusammen mit Anleitungen zur Anzucht u. a. im Internet gehandelt.

Psilocybinhaltige Pilze sind aus allen Kontinenten beschrieben worden und deren Verbreitung und Verwendung wird ausführlich behandelt. So werden auch spezielle Pilz-Omeletts auf der thailändischen Insel Ko Samui erwähnt, denen ich vor 18 Jahren eigene Erfahrungen mit Magic Mushrooms verdanke.

Siehe auch den Bericht über ein massenhaftes Vorkommen von Psilocybe cyanescens in Frankfurt sowie die Pilzporträts von Psilocybe cubensis, P. cyanescens und P. semilanceata.

(August 2007)