Psilocybe cyanescens

Blauender Kahlkopf

Wakef. 1946
Familie: Hymenogastraceae
© Dieter Gewalt
cyanescens = blauend
Foto: Thomas Lehr

Das Bedenkliche an unserem Fund vom 17. Oktober 2006 war seine Lokalität: ein Kinderspielplatz am Rand der zu Frankfurt Nied gehörenden Eisenbahnersiedlung. Die Bewohner dieses Viertels hatten keine Ahnung, in welcher Gefahr sich ihr dort spielender Nachwuchs befand. Woher sollten sie auch. Wer kümmert sich schon um solche unscheinbaren Pilzchen, wem wären ihre merkwürdig blauenden Stiele und Hüte aufgefallen, wer hätte dieser auf ihre spezielle Giftigkeit hindeutenden Verfärbung überhaupt eine Bedeutung beigemessen? Das Risiko für die Kinder wäre beträchtlich gewesen. Die stecken schon mal was in den Mund, warum also nicht auch diese scheinbar harmlosen Pilzchen, deren LSD-ähnliche Wirkung auf den kindlichen Organismus wohl kaum hinreichend erforscht sein dürfte. Kaum ein Pilzberater ist nicht schon von besorgten Müttern konsultiert worden, die ihre Kinder beim Futtern roher Pilze ertappt haben.

Die Information über dieses Kahlkopf-Vorkommen habe ich während der Pilzberatung in Frankfurt von Peter Zügel erhalten. Sie hat mich in zweierlei Hinsicht bewegt. Zum einen musste etwas zum vorbeugenden Schutz der Kinder unternommen werden, zum anderen wollte ich mir die Chance, diesen in Mitteleuropa sehr seltenen Pilz erstmals zu Gesicht zu bekommen, nicht entgehen lassen. Also informierte ich am nächsten Morgen das Stadtgesundheitsamt und beeilte mich, mit einigen Pilzfreunden vor dem alarmierten Räumdienst zum Fundort zu gelangen. Wie von Peter Zügel berichtet, war eine mehrere Quadratmeter große, mit Rindenmulch belegte Fläche an der Rutschbahn dicht mit blauenden Pilzchen in allen Altersstadien bewachsen.

Im Unterschied zum Spitzkegeligen Kahlkopf Psilocybe semilanceata sind die Hüte des Blauenden Kahlkopfs nur jung glockig, später flach ausgebreitet, oft auch mit aufgebogenen Rändern und mit bis zu 6 cm im Durchmesser erheblich größer. Die Verfärbung (grünlich, blau bis schwärzlich), die vor allem am Stiel zu beobachten ist, darf in einigen Gattungen als Indiz für Psilocybingehalt gedeutet aber nicht verallgemeinert werden. So ist z. B. die Blauverfärbung bei einigen Röhrlingen lediglich ein Oxydationsprozess und nicht durch psychotrope Inhaltsstoffe bedingt. Zur sicheren Abgrenzung zu Psilocybe azurescens sind die Sporenmaße zu überprüfen, die bei Ps. cyanescens 9 – 12 x 5 – 7 µm betragen.

Eine spätere Begehung des Spielplatzes hat ergeben, dass der vom Gesundheitsamt beauftragte Räumdienst die falsche Rindenmulchfläche abgetragen hat. Glück für die Kinder, dass dennoch nichts passiert ist. Unser blauender Psilo ist bis an einige Wegränder im Niedwald vorgedrungen, wo er sich auf Debris und Holzresten niedergelassen hat und auch 2007 wieder erschienen ist.

Foto: Gerd Wartha

Anfang November 2006 wurde von Peter Zügel ein weiteres Vorkommen im Frankfurter Stadtgebiet entdeckt: im nördlichen Teil des Palmengartens, ebenfalls auf Rindenmulch nahe einem Kinderspielplatz. Am 12. Oktober 2014 wurde der Kahlkopf nach einer pilzkundlichen Exkursion nahe der Dianaburg auch bei Darmstadt-Arheilgen gefunden. In der Gartenanlage des Ausflugslokals Kalkofen-Biergarten wuchsen einige hundert Fruchtkörper auf einer mit Holzhäckseln gemulchten Fläche.

Weitere Kahlkopfarten im Fundkorb:
Psilocybe cubensis - Kubanischer Kahlkopf
Psilocybe semilanceata - Spitzkegeliger Kahlkopf

Mehr über psychotrope (halluzinogen wirkende) Pilze erfahren Sie hier >

Weiterführende Literatur:

  • Dr. Jochen Gartz: Narrenschwämme (Nachtschattenverlag, ca. 70 €)
Alle Fotos, wenn nicht anders angegeben, von Dieter Gewalt.
Zuletzt aktualisiert am 13. August 2020