Retiarius superficiaris

„Pollenfänger“

D.L. Olivier 1978
Familie: vermutliche eine anamorphe Hyalorbilia
© Dieter Gewalt
Abteilung: Ascomycota

Der staubartige Belag auf dem oben abgebildeten Kirschlorbeerblatt (Prunus laurocerasus) stellt das mit bloßem Auge sichtbare Bild des Pilzes dar, der eine Vielzahl von Pollenkörnern „eingefangen“ hat. Der eigentliche Pilz besteht lediglich aus einem Myzel, das nur mikroskopisch zu erkennen wäre. Um Pollen einzufangen, entwickelt das Myzel einen Klebstoff, an dem diese haften bleiben und vom Pilz verdaut werden. An unserer ersten und zunächst einzigen Fundstelle waren außer Blättern von Kirschlorbeer auch die von Bambus und Mahonie mit fixierten Kiefernpollen belegt.

Stärkere Vergrößerungen zeigen ebenfalls nur die vom nicht sichtbaren Myzel „eingefangenen“ Pollenkörner

Der Gattungsname Retiarius (lat.: Netzkämpfer) bezieht sich auf einen Gladiatorentyp im alten Rom, der nur leicht bewaffnet in öffentlichen Schaukämpfen antrat. Seine wichtigste Waffe neben Dreizack und Kurzschwert war ein Wurfnetz, mit dem er seinen Gegner kampfunfähig zu machen versuchte. Eine vergleichbare Strategie verfolgen auch die Pilze der Gattung Retiarius, die mit ihrem Netz aus klebrigen Myzelien ihre „Nahrung“ einfangen. Bleibt nur die Frage offen, wie diese Pilze für die Erhaltung ihrer Art sorgen, wenn sie keine Fruchtkörper ausbilden. Sie tun es ungeschlechtlich mittels Konidiensporen.

Unser „Pollenfänger“ ist ein erstaunliches Beispiel für die enorme Vielfalt an Formen, Lebensweisen und Strategien im für den normalen Naturfreund kaum überschaubaren verwirrenden Reich der Pilze. Andere wenden eine ähnliche Taktik an, um Nematoden (Fadenwürmer oder „Älchen“) einzufangen. Diese zumeist sehr kleinen, weißen oder farblosen, fädigen Würmchen machen etwa 80 Prozent aller tierischen Organismen aus, darunter viele parasitische und einige humanpathogene Arten.

Retiarius superficiaris wurde am 11. August 2016 bei einer Exkursion im Wald bei Waldacker von Hermine Lotz-Winter gefunden und vorgestellt. Trotz sorgfältiger Suche an geeignet erscheinenden Substraten ist es mir lange nicht gelungen, den Pollenfänger an einem anderen Standort auszumachen, ist aber über Jahre hindurch an seiner ersten Fundstelle permanent vorhanden.

Am 7. Januar 2019 entdeckte ich ihn zufällig auch im Steinberger Wald bei Dietzenbach. Hier waren Blätter einer Stechpalme (Ilex) das Substrat. Pollen liefernde Kiefern waren im Umfeld natürlich auch vorhanden. Zwei weitere Funde im März 2019 im gleichen Wald waren an Kirschlorbeer und erneut an Stechpalme. Am 23. März konnte der Pollenfänger auch im Frankfurter Hauptfriedhof an Kirschlorbeer nachgewiesen werden.

Beispiele von Pollenkörnern verschiedener Pflanzen. Sie werden von Wind, Wasser oder Tieren (Insekten, Vögel, etc.) verbreitet. Der Pollenflug existiert seit ca. 300 Millionen Jahren und sorgt bei mehr als der Hälfte aller Pflanzen für die Bestäubung. Vor allem Pollen mit deutlichen Strukturen können beim Menschen Allergien auslösen.

Alle Fotos, wenn nicht anders angegeben, von Dieter Gewalt.
Zuletzt aktualisiert am 13. August 2020